Montréal olé

Things we don't talk about

Die Montrealer Metro besteht aus vier Linien, und umfasst 73 Stationen. Jede dieser 73 Stationen steht für eine bedeutende, mit Kanada verbundene Persönlichkeit, doch das ist nicht immer offensichtlich und so dachte ich eine ganze Weile, dass meine Metrostation zu Ehren einer Automarke benannt wurde und nicht nach dem Gründer Detroits… Täglich nehmen SOVIELE Menschen die Metro, um sich durch die Stadt fortzubewegen. Die ganz zerrümpelten, die um Geld betteln, die Gutmenschen, die selbstgemachte Stifte verkaufen, um von dem gesammelten Geld Kinder zu unterstützen, die ganz Schicken Büromenschen, die Hipster die versuchen, sich an die Umgebung anzupassen, die Arbeiter, die nach der langen Schicht nur noch auf ihren Sitzen schlafen. Und alle dazwischen. Nur in der Metro kann man die Liebe seines Lebens treffen, die dann für immer verschwindet, sobald man aussteigt, denn diese Menschen scheinen nur im Universum der voll hässlichen blau-weiß-gestreiften, auf Gummirädern fahrenden Wägen zu existieren. Im Gegensatz zu Singapur, wo für Essen und Trinken im Zug bis zu 5.000$ Strafe droht und das Innere der U-Bahn wie ein nagelneuer Spaceship aussieht, hochmodern ausgerüstet, auf vier Sprachen kommunizierend den Fahrgast auf alles aufmerksam macht ist die Montrealer Metro irgendwo in den Achtzigern stehen geblieben, was Modernität und Schönheit anbelangt. Mit einlaminierten Fahrplänen ausgestattet und (die meisten Metros) ganz ohne technischen Anzeigeschnickschnack darf man sich ganz auf die Ansagestimme verlassen, wenn man wissen möchte wo man grad ist. Wenn die Stimme dann mal angeschaltet ist. Im Inneren möchte keiner seine Tasche auf den dreckigen Boden stellen, manchmal nicht mal auf die Sitze (zum Glück kann man seine dicke Winterjacke als Untersetzer opfern). Da scheint selbst die Hannoveraner U-Bahn wie ein Luxusgefährt. Desweiteren passiert es, dass die Metro sich entscheidet, gar nicht erst loszufahren und die zur Rushhour wie Sardinen reingequetschten Leute müssen „evakuiert“ werden und vor dem Wagen auf die Inbetriebnahme warten, weil der Strom sowie Lüftung im Inneren abgestellt werden und es dann sehr ungemütlich werden kann so ganz ohne Sauerstoff und mit den vielen Menschen. Die Luft wird ganz buchstäblich dünn. Während dann die Ortskundigen genau wissen, auf welchen Bus sie ausweichen können, bleibt für Menschen, die nicht an das Montrealer Bussystem glauben, nur das Warten. Und was tun die Montrealer, während sie auf die nächste Metro/ in der nächsten Metro warten (dass sie endlich zu Hause ankommen)? Da die Gummiräder einen unglaublichen Krach machen, ist ohne Schalldichte Kopfhörer kein Verlass auf Musik als Zerstreuung, und so weicht man auf das Lesen aus, fast jeder trägt in irgendeiner Form Lesestoff mit sich.
Bildung olé!

Schon seit Creep wollte ich mal die Katakomben einer U-Bahn Station sehen. Das unterirdische Krankenhaus, die Monsterbabys gezüchtet wurden, war abstoßend und faszinierend zugleich. Sodann hatte ich Ende Februar meine Chance, life und unentgeltlich „unter“ die U-Bahn einen Blick zu werfen. Aber nicht einfach so. Natürlich musste ich mich erst in ein dummes Missgeschick verwickeln, als ich meinen Ohrring auf dem Weg zur Arbeit in die Rillen des Eskalators fallen ließ und ein netter Metroangestellte die magische Tür unter der Rolltreppe öffnete, um danach zu suchen. So viele nette Menschen in diesem Land.

Nur in unserer Metro haben sowohl auf dem Boden schlafende Obdachlose als auch Vorspiele für Metromusiker Platz. Alle sind willkommen, aber die Musik wird von einer Jury ausgesucht, nicht jeder darf einfach so in der schönen Metro für Geld spielen.

Was beim durch die Stadt gehen fast nicht auffällt, wird bei einer Metrofahrt schlagartig klar: die Bevölkerung Montreals ist recht kurz gewachsen (liegt vllt an den Preisen für Milchprodukte und Fleisch oder an der Französischen Abstammung). Selbst ohne hohe Schuhe überrage ich 80% der Passagiere. Und es ist an der Tagesordnung, seinen Freunden zu erzählen, wenn jemand über 1.85 mit ihnen in der Metro gefahren ist.

Da sich die Menschen in der Montrealer Metro zeitweise ziemlich eng aneinander quetschen müssen, um irgendwohin zu fahren kommt man ohne Wechselkleidung nie frisch im Büro an. Ibah! Es ist übrigens dieselbe Methode, auf die die Montrealer im Winter setzen: draußen und in der Metro sind alle warm eingepackt und sehen etwas unfeierlich und obdachlos aus, doch kaum im Büro angekommen, verwandeln sich alle in Prinzessinnen und feine Fashionistas. Wobei die echten kanadischen Fashionostas den Winter mehr als Herausforderung verstehen, um sich noch schicker anzuziehen und ihre knöchel der Welt zu zeigen ohne dass es ihnen zu warm wird: bei -15 in Nylonstrumpfhosen und Lederjacke scheint kein Problem zu sein, solang man nur top aussieht.
Seit ihrem Song traffic lights wissen wir auch, dass Lena Meyer Landrut heimlich irgendwo auf der blauen Metrolinie zwischen Sowdon und St Michel wohnt (....you could jump on the blue line)
Wenn man die seltsame Belüftung überlebt und einem sonst nichts komisch vorkommt, wird ein bisschen Paranaioa in den Alltag gebracht, wenn der Operator über den Lautsprecher „achtung achtung code 80!“ ruft, keiner weiß was es bedeuten soll aber es klingt nie nach etwas gutem denn die Stimme klingt immer überaus ernst und etwas panisch im Unterton. Um die Stimmung noch etwas anzuheizen, laufen die STM Securityleute bewaffnet mit ihren Schlagstöcken am liebsten in Gruppen rum. Manchmal allerdings passiert der force major: die Metro wird geräumt. Alle werden aus den Wägen evakuiert und aufgefordert nach oben zu laufen. Manchmal passiert es, weil die Bahn kaputt geht, doch meistens stören die Montrealer Selbstmörder den Verkehrsbetrieb. Im Sommer deutlich mehr als im Winter, springt jede Woche mindestens ein Mensch aus nur ihm bekannten Gründen vor die Metro. Nicht nur, dass es mich fragen lässt, wie Leute in dieser Stadt, in diesem Land sich umbringen wollen können, nach so einem Vorfall wird die ganze Linie für mindestens eine Stunde gesperrt und manche Menschen finden, dass die Rush Hour die beste Zeit zum Selbstmord ist und ziehen auch noch ganz schön viel Zorn auf sich. Just saying. Wenn in Deutschland das erstaunte und entsetzte Gesichter hervorrufen würde, sind hier die meisten leute so dran gewöhnt, dass sie nur noch genervt sind.

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17 hoofdstukken

16 apr. 2020

Vierzehn. Die Metro

maart 01, 2016

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Montréal, Kanda

Things we don't talk about

Die Montrealer Metro besteht aus vier Linien, und umfasst 73 Stationen. Jede dieser 73 Stationen steht für eine bedeutende, mit Kanada verbundene Persönlichkeit, doch das ist nicht immer offensichtlich und so dachte ich eine ganze Weile, dass meine Metrostation zu Ehren einer Automarke benannt wurde und nicht nach dem Gründer Detroits… Täglich nehmen SOVIELE Menschen die Metro, um sich durch die Stadt fortzubewegen. Die ganz zerrümpelten, die um Geld betteln, die Gutmenschen, die selbstgemachte Stifte verkaufen, um von dem gesammelten Geld Kinder zu unterstützen, die ganz Schicken Büromenschen, die Hipster die versuchen, sich an die Umgebung anzupassen, die Arbeiter, die nach der langen Schicht nur noch auf ihren Sitzen schlafen. Und alle dazwischen. Nur in der Metro kann man die Liebe seines Lebens treffen, die dann für immer verschwindet, sobald man aussteigt, denn diese Menschen scheinen nur im Universum der voll hässlichen blau-weiß-gestreiften, auf Gummirädern fahrenden Wägen zu existieren. Im Gegensatz zu Singapur, wo für Essen und Trinken im Zug bis zu 5.000$ Strafe droht und das Innere der U-Bahn wie ein nagelneuer Spaceship aussieht, hochmodern ausgerüstet, auf vier Sprachen kommunizierend den Fahrgast auf alles aufmerksam macht ist die Montrealer Metro irgendwo in den Achtzigern stehen geblieben, was Modernität und Schönheit anbelangt. Mit einlaminierten Fahrplänen ausgestattet und (die meisten Metros) ganz ohne technischen Anzeigeschnickschnack darf man sich ganz auf die Ansagestimme verlassen, wenn man wissen möchte wo man grad ist. Wenn die Stimme dann mal angeschaltet ist. Im Inneren möchte keiner seine Tasche auf den dreckigen Boden stellen, manchmal nicht mal auf die Sitze (zum Glück kann man seine dicke Winterjacke als Untersetzer opfern). Da scheint selbst die Hannoveraner U-Bahn wie ein Luxusgefährt. Desweiteren passiert es, dass die Metro sich entscheidet, gar nicht erst loszufahren und die zur Rushhour wie Sardinen reingequetschten Leute müssen „evakuiert“ werden und vor dem Wagen auf die Inbetriebnahme warten, weil der Strom sowie Lüftung im Inneren abgestellt werden und es dann sehr ungemütlich werden kann so ganz ohne Sauerstoff und mit den vielen Menschen. Die Luft wird ganz buchstäblich dünn. Während dann die Ortskundigen genau wissen, auf welchen Bus sie ausweichen können, bleibt für Menschen, die nicht an das Montrealer Bussystem glauben, nur das Warten. Und was tun die Montrealer, während sie auf die nächste Metro/ in der nächsten Metro warten (dass sie endlich zu Hause ankommen)? Da die Gummiräder einen unglaublichen Krach machen, ist ohne Schalldichte Kopfhörer kein Verlass auf Musik als Zerstreuung, und so weicht man auf das Lesen aus, fast jeder trägt in irgendeiner Form Lesestoff mit sich.
Bildung olé!

Schon seit Creep wollte ich mal die Katakomben einer U-Bahn Station sehen. Das unterirdische Krankenhaus, die Monsterbabys gezüchtet wurden, war abstoßend und faszinierend zugleich. Sodann hatte ich Ende Februar meine Chance, life und unentgeltlich „unter“ die U-Bahn einen Blick zu werfen. Aber nicht einfach so. Natürlich musste ich mich erst in ein dummes Missgeschick verwickeln, als ich meinen Ohrring auf dem Weg zur Arbeit in die Rillen des Eskalators fallen ließ und ein netter Metroangestellte die magische Tür unter der Rolltreppe öffnete, um danach zu suchen. So viele nette Menschen in diesem Land.

Nur in unserer Metro haben sowohl auf dem Boden schlafende Obdachlose als auch Vorspiele für Metromusiker Platz. Alle sind willkommen, aber die Musik wird von einer Jury ausgesucht, nicht jeder darf einfach so in der schönen Metro für Geld spielen.

Was beim durch die Stadt gehen fast nicht auffällt, wird bei einer Metrofahrt schlagartig klar: die Bevölkerung Montreals ist recht kurz gewachsen (liegt vllt an den Preisen für Milchprodukte und Fleisch oder an der Französischen Abstammung). Selbst ohne hohe Schuhe überrage ich 80% der Passagiere. Und es ist an der Tagesordnung, seinen Freunden zu erzählen, wenn jemand über 1.85 mit ihnen in der Metro gefahren ist.

Da sich die Menschen in der Montrealer Metro zeitweise ziemlich eng aneinander quetschen müssen, um irgendwohin zu fahren kommt man ohne Wechselkleidung nie frisch im Büro an. Ibah! Es ist übrigens dieselbe Methode, auf die die Montrealer im Winter setzen: draußen und in der Metro sind alle warm eingepackt und sehen etwas unfeierlich und obdachlos aus, doch kaum im Büro angekommen, verwandeln sich alle in Prinzessinnen und feine Fashionistas. Wobei die echten kanadischen Fashionostas den Winter mehr als Herausforderung verstehen, um sich noch schicker anzuziehen und ihre knöchel der Welt zu zeigen ohne dass es ihnen zu warm wird: bei -15 in Nylonstrumpfhosen und Lederjacke scheint kein Problem zu sein, solang man nur top aussieht.
Seit ihrem Song traffic lights wissen wir auch, dass Lena Meyer Landrut heimlich irgendwo auf der blauen Metrolinie zwischen Sowdon und St Michel wohnt (....you could jump on the blue line)
Wenn man die seltsame Belüftung überlebt und einem sonst nichts komisch vorkommt, wird ein bisschen Paranaioa in den Alltag gebracht, wenn der Operator über den Lautsprecher „achtung achtung code 80!“ ruft, keiner weiß was es bedeuten soll aber es klingt nie nach etwas gutem denn die Stimme klingt immer überaus ernst und etwas panisch im Unterton. Um die Stimmung noch etwas anzuheizen, laufen die STM Securityleute bewaffnet mit ihren Schlagstöcken am liebsten in Gruppen rum. Manchmal allerdings passiert der force major: die Metro wird geräumt. Alle werden aus den Wägen evakuiert und aufgefordert nach oben zu laufen. Manchmal passiert es, weil die Bahn kaputt geht, doch meistens stören die Montrealer Selbstmörder den Verkehrsbetrieb. Im Sommer deutlich mehr als im Winter, springt jede Woche mindestens ein Mensch aus nur ihm bekannten Gründen vor die Metro. Nicht nur, dass es mich fragen lässt, wie Leute in dieser Stadt, in diesem Land sich umbringen wollen können, nach so einem Vorfall wird die ganze Linie für mindestens eine Stunde gesperrt und manche Menschen finden, dass die Rush Hour die beste Zeit zum Selbstmord ist und ziehen auch noch ganz schön viel Zorn auf sich. Just saying. Wenn in Deutschland das erstaunte und entsetzte Gesichter hervorrufen würde, sind hier die meisten leute so dran gewöhnt, dass sie nur noch genervt sind.

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